Wenn man an Leichtbau im Automobilbau denkt, dann steht überwiegend der Einsatz von leichten Materialien wie Aluminium, Carbon, Magnesium oder Faserverbundwerkstoffe im Vordergrund.
Doch genügen diese bisherigen Ansätze für den Leichtbau, um die ambitionierten Gewichts- und Emissionsziele für die nachhaltigen Fahrzeuge unserer mobilen Zukunft zu erreichen? Was wäre, wenn sich Entwicklungsingenieure von der Natur als der führenden Expertin für leichtes, effizientes und nachhaltiges Design inspirieren lassen würden? Die Antwort gibt der Entwicklungsdienstleister EDAG auf der IAA ´15 mit der Deutschlandpremiere seines Concept Cars „EDAG Light Cocoon“.
Ein Fahrzeug, das das bionische Muster eines Blattes als Gestaltungsgrundlage auf-greift und in eine ultimativ leichte und intelligent vernetzte Karosseriestruktur überführt. Ein Konzept, das nachhaltige Wege für die Automobilindustrie aufzeigt und gleichzeitig das technologische Potenzial der generativen Fertigung darstellt.
Dass die Kombination von bionischem Design und „generativer Fertigung“ mehr als eine reine Utopie ist, zeigt das Wiesbadener Entwicklungsunternehmen mit konkreten Technologiebeispielen, die zeitnah Realität werden könnten: In Frankfurt präsentiert das Unternehmen erstmals das Modell eines funktionsfähigen, generativ gefertigten Scheinwerfers sowie ein neuartiges Spaceframe-Konzept für eine leichte und leicht zu fertigende Fahrzeugstruktur. Als weiteres Beispiel für den praxisnahen Einsatz gene-rativer Fertigungstechnologie stellt der Entwicklungsspezialist EDAG ein hybrides Leistungselektronikgehäuse mit einer ultraleichten Kühlstruktur vor.
Stabilität ohne Verschwendung: Der „EDAG Light Cocoon“
Der „EDAG Light Cocoon“ setzt auf eine gänzlich andere Philosophie, um ultimative Leichtbauziele zu erreichen. Wie eine organische Skelettstruktur setzt das Fahrzeug-konzept auf den Ansatz, nur dort den Einsatz von Material vorzusehen, wo es für die Funktion, Sicherheit und Steifigkeit unbedingt benötigt wird.
Im Ergebnis zeigt der „EDAG Light Cocoon“ eine lasttragende, verästelte Tragstruktur, die trotz Reduktion des Materialeinsatzes die Anforderungen an strukturrelevante Bauteile erfüllt. „Dank der Möglichkeiten der generativen Fertigung, sind solche komplexen Strukturen erstmals überhaupt umsetzbar. Eine Technologie, die zukünftig aufgrund der werkzeuglosen Fertigung hochinteressante wirtschaftliche Potenziale in sich birgt und zudem extrem variable Produktionsmöglichkeiten bieten wird.“, erläutert Jörg Ohlsen, CEO der EDAG Engineering GmbH.
Auch für die ebenfalls ultimativ leichte Karosserieaußenhaut des „EDAG Light Cocoon“ stand die Natur Pate. Wie auch die Struktur eines Blattes mit einer leichten Außenhaut überspannt ist, besitzt der „EDAG Light Cocoon“ eine schützende und leichte Hülle – in diesem Fall aus einem Textilmaterial. Der Outdoor-Spezialist Jack Wolfskin steuerte für das Projekt einen extrem wetterbeständigen, leichten, dehnbaren und erprobten Stoff als neue Karosserieaußenhaut bei.
Die ungewöhnliche Kombination von Skelettstruktur und Stoff ermöglichte zudem die Integration eines neuartigen Beleuchtungskonzepts, das erstmals das ganze Fahrzeug mit einbezieht. Das LED-Hinterleuchtungssystem macht nicht nur die Struktur des Cocoon sichtbar; vielmehr macht es das Fahrzeug zur Leinwand. Der Look ist nicht mehr statisch; der Kunde kann das Aussehen seines Fahrzeugs jederzeit verändern und seine Wunschfarbe wählen. Das variable Lichtdesign folgt dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Individualität.
Maximale Freiheitsgrade bei maximaler Kühlung
EDAG präsentiert auf der IAA das erste voll funktions- und zulassungsfähige Modell eines Scheinwerfers, das die umfangreichen Möglichkeiten der generativen Fertigung aufzeigt. Das Innovationsprojekt trägt die Handschrift des neuen EDAG-Lichtlabors und verfolgt das Ziel, mittels einer aktiven/passiven Kühlung die Lichtleistung der verwendeten LEDs weiter zu erhöhen. Durch optimale Wärmeabfuhr durch additiv gefertigte und bionische Kühlstrukturen sowie einige weitere spannende Bauteile kann die Leistungsfähigkeit des Scheinwerfers erhöht werden und gleichzeitig das Gewicht reduziert werden. Durch die neuen Freiheitsgrade der generativen Fertigung konnten verästelte Formen umgesetzt werden, die sowohl ein Optimum in Bezug auf die wärmeableitenden Oberflächen, als auch ideale strömungstechnische Voraussetzungen ermöglichen. Zudem können sehr wichtige Marktsegmente im Kleinserien- und High-Perfomance-Segment wesentlich investitions- und kostengünstiger bedient werden, da es sich um eine überwiegend werkzeuglose Fertigung handelt.
Bionisch optimiertes und hybrid gefertigtes Spaceframe-Konzept für varianten-intensive Fahrzeugleichtbaustrukturen
Dass der EDAG Light Cocoon ein richtungsweisendes Konzept für den Leichtbau der Zukunft ist, kann man bereits heute erkennen. Dass er aber auch Lösung für eine weitere Herausforderung in der Automobilentwicklung ist, zeigt EDAG in Frankfurt: Mit der Weiterentwicklung der Karosserie als bionisch optimierter und hybrid gefertig-ter „Spaceframe“ wird die zunehmende Fahrzeugvarianz durch die Vielzahl von Antriebsvarianten und Laststufen beherrschbar. Die Karosserien von morgen müssen nicht nur leichter, sondern vor allem noch flexibler konzipiert werden. Die Hersteller sind zudem gefordert, die zunehmende Anzahl an Antriebskonzepten und Energiespeichersystemen in die Fahrzeugstruktur zu integrieren. Die Folge ist eine steigende Anzahl an Fahrzeugderivaten, die nach anpassungsfähigen und wirtschaftlich zu fertigenden Karosseriekonzepte verlangen.
Auf der IAA in Frankfurt zeigt EDAG gemeinsam mit dem Laser Zentrum Nord (Hamburg), Concept Laser (Lichtenfels) und der BLM Group (Levico, Italien) mit dem bionisch optimierten, hybrid gefertigten Spaceframe eine neue Perspektive auf, wie ein wandelbares und flexibel zu fertigendes Karosseriekonzept realisiert werden kann.
Der Erfolg liegt in der Kombination von generativ hergestellten Karosserieknoten und intelligent bearbeiteten, konventionell gefertigten Profilen. Die Knoten können Dank generativer Fertigung hochflexibel und multifunktional gestaltet werden, um z.B. unterschiedliche Fahrzeugvarianten ohne zusätzliche Werkzeug-, Betriebsmittel und Anlaufkosten in einer hochflexiblen Produktionszelle „on demand“ produzieren zu können. Als Verbindungselemente dienen Profile aus Stahl oder Aluminium. Auch diese können durch unterschiedliche Wandstärken und Geometrien individuell und einfach den vorgegebenen Laststufen angepasst werden.
Das Ergebnis zeigt eine bionisch gestaltete und lastpfadoptimierte Spaceframe-Struktur. Durch den Einsatz vorrichtungs- und werkzeugarmer Verfahren können zukünftig alle Karosserievarianten wirtschaftlich und mit höchstmöglicher Flexibilität gefertigt werden. Außerdem ist im Sinne einer „lern- und wandlungsfähigen Industrie 4.0 durch generative Fertigung“ die Flexibilität hinsichtlich der hohen Reaktionsfähigkeit auf schwankende Stückzahlbedarfe sowie die Anpassungsfähigkeit von Strukturbauteilen während eines Produktlebenszyklus gegeben.
Leichtbau in der Leistungselektronik:
Intelligenter Mix aus konventioneller und generativer Fertigung EDAG hat zusammen mit dem Laser Zentrum Nord ein hybrid gefertigtes Gehäuse für ein On-Board-Ladegerät eines Elektrofahrzeuges entwickelt, welches über 50 %
leichter als eine gegossene Referenz ist. Das Konzept sieht vor nur die wirkungsgradrelevanten Funktionselemente generativ herzustellen, da hier das Verfahren seine Vorteile voll ausspielen kann.
Herzstück dieses Gehäuses ist eine durch „Selektives Laserschmelzen“ (SLM) herge-stellte ultraleichte Kühlstruktur. Mit ihren speziell auf den Wärmedurchgang der Elektronik angepassten Kühlkanälen erzielt das Aluminiumbauteil bisher unerreichte Kühlleistungen. Filigrane, lokal in die Kühlkanäle eingebrachte Rippen, welche in dieser Weise nicht mit konventionellen Herstellungsverfahren darstellbar sind, maxi-mieren den Wirkungsgrad und erzielen damit eine bisher unerreichte Kühlleistung.
Durch die kompakten Abmessungen ließe sich die Kühlstruktur bereits heute kosten-günstig in größeren Stückzahlen herstellen. Dieses Beispiel zeigt, dass sich generativ gefertigte Aluminiumbauteile bereits heute für kleine und mittlere Serien sinnvoll und wirtschaftlich einsetzen lassen.
„Mit der Vision des EDAG Light Cocoon und unseren Konzepten für eine zeitnahe Um-setzung generativer gefertigter Bauteile und Module wollen wir Impulse für den zukünftigen Weg des energieeffizienten Leichtbaus und einer ressourcenschonenden Fertigung setzen.“, bekräftigt Jörg Ohlsen. „ Als Engineering-Unternehmen sehen wir es auch als unsere Aufgabe an, querzudenken, uns mit neuen Technologien zu beschäftigen und dazu beizutragen, dass aus Visionen sukzessive serienreife Konzepte werden.“