Vom weißen Buntstift zur Entwicklungsingenieurin

In einer von Baharehs Geschichten geht es um einen Buntstift. Einen traurigen, weißen Buntstift, der die anderen Stifte um deren schöne Farben beneidet. Der zunächst selbst nicht weiß, wofür er gebraucht wird und was er kann. Doch der Held macht sich auf eine Reise, um es herauszufinden, und entdeckt im Laufe der Geschichte seine Zauberkraft – und Aufgaben, die nur er kann, eben weil er ein weißer Buntstift ist.

In dieser Kindergeschichte steckt sehr viel von ihr, sagt Bahareh. Denn sie hat sie selbst geschrieben. „Auch ich musste erst lernen, selbstbewusst zu sein.“

Bahareh ist nicht nur Kinderbuchautorin. Tagsüber prüft sie als Projektleiterin im Testing-Labor der EDAG Group in Unterschleißheim, ob und wie Steuergeräte der Kamerasensorik an einem Fahrzeug miteinander kommunizieren. Das Thema autonomes Fahren hat sie schon immer fasziniert, erzählt die 31-jährige Entwicklungsingenieurin. Und bei der EDAG Group fließt diese Faszination in ihre tägliche Arbeit.

Baharehs Familie kommt aus dem Iran. Ihr Vater arbeitete für einige Zeit für eine deutsche Firma, als sie 1990 in Hamburg zur Welt kam. Noch als sie und ihre Schwester klein waren, kehrte er für eine Stelle als Maschinenbauer mit der Familie wieder nach Teheran zurück. Bahareh teilte seine Begeisterung für die Technik und studierte nach der Schule Elektrotechnik. Für die Abschlussarbeit in der Uni entwickelte sie einen Mikrochip für ein implantierbares Hörgerät, sie veröffentlichte ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse in drei Artikeln in einem Journal. Nach dem Studium arbeitete sie für zwei Jahre als Sensoringenieurin bei einer Ölfirma. Ein guter Job. Doch das Leben als Frau im Iran war nicht gut – und sie kehrte zurück in ihre erste Heimat: Deutschland.

Lost in Translation

Kein leichter Schritt. Das wissen alle, die wie sie vorher in einem anderen Land studiert haben und sich in Deutschland um die Anerkennung ihres Abschlusses bemühen müssen. Und dann auch noch die komplexe deutsche Sprache, deren Regeln man kaum durchdringen kann, wenn man sie nicht von klein auf spricht. Während ihres Masterstudiums Automatisierung und Softwaretechnik in Stuttgart – die Anerkennung des iranischen Bachelors hatte zwischenzeitlich geklappt – wagte sie anfangs kaum ein Wort zu sprechen. Wenn die Professoren eine Frage stellten oder sich die anderen Studierenden auf Deutsch unterhielten. Sie hatte Angst, einen Fehler zu machen. „Ich wusste immer die Antwort, aber ich habe mich nicht getraut zu sprechen“, erzählt Bahareh über diese Zeit, in der sie oft traurig war und an sich zweifelte.

Irgendwann hatte sie verstanden: das Wichtigste ist nicht die Sprache sondern das Selbstbewusstsein. Sie beschloss, einfach draufloszusprechen. „Die Sätze waren natürlich falsch, aber die anderen fanden das gut, dass ich teilnehme, meine Meinung sage.“ Es war wie bei der Geschichte vom weißen Buntstift.

Leidenschaft gewinnt

Wenn Bahareh von ihrer Geschichte erzählt, lacht sie viel. „Das Leben ist zu kurz, um perfekt Deutsch zu lernen“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Und im Alltag bei der EDAG Group spielt das auch keine große Rolle. Ihr Team ist international. Es gibt Kollegen aus Spanien, Albanien und aus Indien. „Meine Kollegen sagen, wenn ich was erzähle, spüren sie meine Motivation. Deswegen kann ich die anderen so gut überzeugen.“ Leidenschaft ist eben wichtiger als perfekte Grammatik.

Täglich Neues lernen

Zur EDAG Group kam Bahareh vor knapp drei Jahren, nach der Masterarbeit bei der Firma Bosch, für die sie am Bau eines autonomen Fahrzeugs beteiligt war. Klar, hätte sie da auch beim großen Konzern Möglichkeiten gehabt, aber sie hat sich für EDAG entschieden. „Bei uns passieren die interessanteren Sachen. Die meisten Entwicklungen und das Testing machen wir Dienstleister“, sagt Bahareh. Und außerdem schätzt sie den Abwechslungsreichtum ihrer Arbeit. „Hier gab es bisher keinen Tag, an dem ich nichts Neues gelernt habe“, sagt sie.

Wenn ein Test erfolgreich war, kann es auch mal vorkommen, dass Bahareh durchs Labor tanzt. Ihre Kollegen kennen das schon. Hier kann sie sein, wie sie ist, sagt sie. Und auch in schweren Zeiten ist das Team füreinander da. Das zeigte sich, als Baharehs Mutter krank wurde und starb. Bahareh reiste für zwei Monate nach Teheran. „Ich habe die Zeit bekommen, die ich gebraucht habe. Keiner hat zu mir gesagt: Bahareh, du musst jetzt wieder an deinen Arbeitsplatz zurückkommen. Sie wollten nur wissen, wie es mir wirklich geht“, erzählt sie. Auch die Sorge, ihre Karriere könnte wegen dieser Auszeit einen Knick bekommen, löste sich in Luft auf. Kurz nach ihrer Rückkehr wurde Bahareh Projektleiterin.

Große autonome Visionen

Ihr Testing-Team, sagt Bahareh, ist wie eine Familie. Manchmal profitieren die Kollegen auch von Baharehs zweiter Leidenschaft. Denn in ihrer Freizeit schreibt und illustriert sie nicht nur Geschichten, sie kocht auch leidenschaftlich gerne. Persische Gerichte wie Kufte, Fleischbällchen mit Nüssen und Pflaumen. Oder das Traditionsgericht Mirza Ghasemi, eine Auberginen-Dip mit Ei. Dafür nimmt sie sich viel Zeit. Manchmal steht sie stundenlang in der Küche. „Wenn ich schreibe oder koche, bin ich am nächsten Tag auf der Arbeit viel glücklicher.“

Ihr beruflicher Traum: die Smart City mitzugestalten. In der Autos und öffentliche Verkehrsmittel von selbst fahren und alles miteinander vernetzt ist. Und in dieser Smart City soll es auch ein Smart Café geben. In dem alles autonom abläuft. Und zum Kaffee gibt es Napeloni mit persischer Rosesahne zwischen Blätterteigschichten. Ihre Lieblingstorte.


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